Den nachfolgenden Text habe ich in einem der zahllosen Bücher gefunden, die ich nach Jaros´ Tod gelesen habe. Sehr genau wird darin beschrieben, wie man sich nach dem Tod seines Kindes fühlt...

Der Strom des Lebens

(aus "Wenn ein Kind gstorben ist" von Juliet Cassuto Rothman)

...wir haben etwas verloren und müssen ganz von vorn beginnen. Wir sind erschöpft und haben Schmerzen, und unsere Werkzeuge sind nicht nur verbraucht, sondern auch schwer. Ja, wir wissen, dass wir einst einen Willen hatten, aber wir wissen nicht genau, wohin er etnschwunden sein könnte. Es scheint, dass uns die Motivation fehlt, irgendetwas zu tun.

Und doch sind wir hier. Wir leben. Wir haben keine andere Möglichkeit, als weiterzugehen. Nach und nach, in kleinen, kaum merklichen Schritten, beginnen wir uns zu wandeln. Nach und nach werden wir, fast gegen unseren Willen, vorwärts gebracht.

Stellen Sie sich das Leben als einen grossen Strom vor, der sich eigenwillig und mächtig vorwärts bewegt. Wir sind viele, viele Jahre auf dem Strom gefahren. Einige von uns fuhren wild und rücksichtslos. Andere fuhren nachdenklich und ruhig. Wieder andere fuhren behutsam und vorsichtig. Wie Sie auch auf dem Strom des Lebens fuhren, er ernährte Sie und hielt Sie meistens aus den Strömungen und kleinen Wellen und Wirbeln heraus.

Wenn unser Kind stirbt, scheint uns irgendeine Kraft hochzuheben und aus dem Strom zu werfen, auf das trockene und wüste Land am Ufer. Dort sitzen wir und weinen, wie die biblischen Verbannten an den Wassern von Babylon, denn auch wir sind Vertriebene. Wir sind vom Strom vertrieben und beobachten sehnsüchtig und klagend, wie das Leben an uns vorüber fliesst.

Wir müssen auf dem trockenen Ufer sitzen um uns zu erholen. Doch langsam müssen wir wieder näher an den Strom herangehen. Wir müssen einen Finger in das Wasser tauchen, dann eine Hand. Wir bringen etwas Wasser an unseren Mund und spüren, dass es uns noch immer ernähren kann. Langsam, vorsichtig, zögernd müssen wir wieder in den Strom zurück, denn sonst werden wir auf dem unfruchtbaren dürren Ufern sterben.

Irgendwann in den ersten fünf Jahren wird uns von neuem bewusst, dass wir das Wasser des Lebens als Nahrung brauchen. Allmählich, fast gegen unseren Willen und oft mit einem grossem Schuldgefühl gegenüber unserem verstorbenem Kind, glauben wir, dass wir vielleicht doch noch zu dem Wasser des Lebens zurückkehren können.

Wir können nicht zurückkehren zu ihm als die Menschen, die wir waren, bevor unser Kind starb. Doch als die Menschen, die wir jetzt sind, können und werden wir zurückkehren.

Einige von uns beobachten den Strom nur. Andere haben sein Wasser schon wieder gekostet und es süss gefunden. Andere sind hinein gewatet, vielleicht bis zu den Knien.

Das ist die Aufgabe der kommenden Jahre. Sie müssen zu dem Strom des Lebens zurückkehren als der Mensch, der Sie jetzt sind. Ein Mensch, der Tod, Verlust und Kummer in der schmerzlichsten Form kennen gelernt hat. Ein Mensch, der Traurigkeit versteht, aber auch Freude schätzt.

 

 

Den nachfolgenden Text habe ich geschrieben, um einmal deutlich zu machen, wie sehr uns das Geschehene berührt und auch verändert hat:

(Leider musste ich in letzter Zeit feststellen, daß sich andere diesen Text wortgetreu auf ihre eigene HP mitnehmen und als von ihnen selbst geschrieben ausgeben. Das macht mich traurig, denn es hat viel Kraft und Tränen gekostet ihn zu schreiben. Sollte ich Euch mit diesen Worten aus der Seele sprechen, könnt Ihr den Text gerne kopieren, aber bitte mit Verweis ( Link), wo Ihr ihn her habt. )

Wir haben eigentlich immer gesagt, dass wir uns vor niemanden rechtfertigen wollen, warum wir jetzt so sind, wie wir sind. Aber leider mussten wir in den vergangenen Monaten immer wieder feststellen, dass man uns nicht wirklich versteht.Vielen, von denen man es nicht erwartet hat, fällt der Umgang mit uns schwer, so als hätten wir eine ansteckende Krankheit.

Aus leidiger Erfahrung können wir sagen, dass die Menschen oft ein Problem haben mit trauernden Menschen umzugehen. Das "Problem" wird noch viel grösser, wenn ein Kind gestorben ist. Leider wissen die Wenigsten, wie sehr sie mit ihrem Nichtstun und Nichtssagen die Trauernden verletzen und enttäuschen.

Auch wir wurden von einigen Menschen sehr enttäuscht, sogar innerhalb der Familie!

Der Verstand sagt uns zwar, dass sie es "nur gut meinen" und sich aus Unsicherheit so verhalten. Aber der Schmerz der Enttäuschung überdeckt den Verstand. Man hat einen unsagbaren Verlust erlitten, und kann sich nun in seinem Schmerz und Kummer nicht auf die Menschen verlassen, von denen man es erwartet hätte. Es schmerzt ungemein, wenn man merkt, dass manche Menschen schnell in die andere Richtung gucken, wenn man sich begegnet, oder aber uns so gegenüber treten, als wäre nichts geschehen.

Wir haben von Anfang an offen über alles gesprochen. Es hat uns gut getan, über alles zu reden. Und, wir wollen reden, wir wollen allen von unserem Kind, von Jaro, erzählen. So, wie man es "normalerweise" auch getan hätte.

 Auch wenn er nicht das Licht der Welt erblickt hat, keiner ausser uns ihn kennen gelernt hat, so hat er doch gelebt. Er hat von Anfang an unser Leben verändert und auch das Leben anderer beeinflusst. Wie kann man da so tun, als wäre er nicht da gewesen?!

Alle sollen von ihm wissen, dürfen ihn gern auf den Fotos betrachten - sein süsses Gesicht mit dem leichten Lächeln, seine kleinen Hände und Füsse...

Seine Fotos hängen neben den Fotos von Jascha und Joris.

Er hat seine letzte Ruhe auf dem Friedhof bei seinem Opa und seiner Uroma gefunden.

Wäre er bei uns, würde ihn jeder sehen wollen. Jetzt aber müssen wir viele erst daran erinnern, dass da noch jemand ist, der ganz selbstverständlich zu uns gehört. Kaum einer fragt von sich aus - das tut sehr weh! Ja, auch hier ist es wieder die Unsicherheit und der Glaube, dass es besser ist, "nicht in den Wunden zu rühren". Aber das ist total falsch, jedenfalls was uns betrifft!!! Von Anfang an haben wir versucht das zu signalisieren, aber es kommt nur spärlich an. Natürlich kullern manchmal Tränen, wenn wir von Jaro sprechen, und damit können viele nicht umgehen.

Ist es nicht verrückt, dass wir dann versuchen uns zusammen zu nehmen, um diese Leute vor unserem Leid zu schützen, anstatt ihnen zu zeigen wie sehr wir noch immer leiden  und uns trösten zu lassen?!

Ver-rückt, dieses Wort spielt spielt überhaupt eine ganz grosse Rolle: Unser sicher geglaubter Platz im Leben wurde im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückt. Es gibt Tage, an denen man glaubt, man hat den grössten Schmerz hinter sich gebracht. Und dann, ganz plötzlich und unvorbereitet schlägt der Schmerz und die Trauer wie eine Bombe wieder ein, und man hat das Gefühl alles noch einmal von vorne zu durchleben.

Wir wissen inzwischen, dass das noch viele Jahre so sein wird, aber die Abstände werden grösser werden und die Heftigkeit schwächer..

Der Text "Der Strom des Lebens" beschreibt sehr treffend, wie man sich fühlt und auch, wie man sich verändert. Denn eines steht fest: Niemend ist nach dem Tod seines Kindes mehr so wie er vorher war.

Der Tod eines Kindes ist ganz anders als der eines Erwachsenen. Es ist ein Tod zur Unzeit, der "normale" Rhythmus des Lebens ist gebrochen. Keiner denkt je wirklich daran, dass sein Kind vor ihm stirbt. Es ist schlicht unglaublich.

Wir trauern um das ungelebte Leben. Um all die Träume und Hoffnungen die Jaro in uns geweckt hat, und um die verlorene Zukunft.

Wir haben keine greifbaren Erinnerungen. Nichts, das wirklich zu ihm gehört hat, etwas das nach ihm riecht, was ihm gehört hat.

Wir haben nur die wenigen Fotos und die Erinnerungen an sein verborgenes Leben im Bauch.

Wir haben nie die Farbe seiner Augen gesehen.

Wir haben nie seine Stimme gehört.

Wir werden nie wissen wie sein Charakter war.

Wir werden nie wissen wie Jascha und Joris mit ihm gespielt, gelacht und gestritten hätten...

Stattdessen wissen wir jetzt, was es bedeutet ein Kind zu verlieren. Wir kennen die Katastrophe die einen trifft, und wir kennen die vielen Tränen die man vergießt. Wir haben den grossen Schmerz kennen gelernt und mussten ihn als unseren neuen Weggefährten akzeptieren.

Besonders schmerzt es auch zu sehen, wie Jascha und Joris leiden. Leider wird es von vielen nicht verstanden. Die Trauer der Kinder wird nicht erkannt bzw. anerkannt.

Natürlich haben sie mitbekommen, was geschehen ist. Schliesslich haben auch sie sich acht Monate lang darauf gefreut einen kleinen Bruder zu bekommen. Sie haben den immer dicker werdenen Bauch gesehen, sie haben Jaro gefühlt, sie haben Pläne geschmiedet, sie haben die Veränderungen (größeres Auto, neue Möbel, das Babyzimmer,...) mitbekommen. Auch sie haben erwartet, dass Jaro zu uns nach Hause kommt. Auch sie haben nie daran gezweifelt. Auch sie wurden ganz plötzlich aus ihren Erwartungen, Hoffnungen und Träumen heraus gerissen und mit der schrecklichen Realität konfrontiert.

Warum sollten sie also nichts mitbekommen haben?!

Man müsste wohl ein ganzes Buch schreiben, um alles in Worte zu fassen. Ich glaube aber, dass diese Zeilen ganz gut gelungen sind, um einen kleinen Einblick in unser neues Leben zu geben.

Es wird lange Zeit brauchen, bis wir wieder auf den Strom des Lebens angekommen sind. Durch eine Familienkur erhoffen wir uns die Kraft für diesen grossen Schritt zu bekommen.

Wir möchte uns bei allen bedanken, die Jaros Namen erwähnen,  die versuchen uns zu verstehen, die uns die Zeit geben die wir brauchen, und die Kraft haben uns auf unserem Weg zu begleiten. Denn leider ist das nicht selbstverständlich.

 

 

"Und dann kehrt man heim mit gebrochenen Flügeln

und das Leben geht weiter,

und es ist so, als wär´ man nie dabei gewesen."

 

 

 

 


 


 

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